Al-Dersimspor suspendiert

Al-Dersimspor suspendiert

28. September 2019 0 Von Frank Toebs

Stress im Käfig am Tempodrom

Sie waren vorgewarnt. Bereits im Mai des Jahres hatte es nach Vorfällen mit den Unparteiischen auf dem Lilli-Henoch-Sportplatz in Kreuzberg strenge Auflagen für den Klub gegeben. Die Fußballer und Offiziellen vom BSV Al-Dersimspor aus der Berlin-Liga sollten sich unbedingt an die Anweisungen des Schiedsrichterausschusses für das Gelände an der Ruine am Anhalter Bahnhof und Tempodrom, den Käfig, halten, Bereits 2013 in der Landesliga war die erste Mannschaft des Vereins einmal vom Spielbetrieb eine Zeit ausgeschlossen worden. Nun wurden nach Aussage und Anzeige von Schiedsrichter Stefan Paffrath genau die nötigen Anweisungen nicht beachtet. Eine Vorgabe war zum Beisspiel- wegen der beengten Verhältnissen vor Ort – den Referee auf den Wegen unbedingt unter den Schutz von Ordnern zu stellen. Diese waren verpflichtet, stets für Begleitung und Betreuung bis zu den ungewöhnlich weit entfernten Umkleidekabinen zu sorgen. Nach dem Spiel gegen Liga-Konkurrent Frohnauer SC (2:4) konnte das am Sonntag nicht sonderlich erfolgreich umgesetzt werden. Im Klartext: Paffrath soll im Kabinentrakt von Ali K. , dem früheren Kapitän der Mannschaft, geschlagen worden sein. Zu der Eskalation war es gekommen, nachdem Paffrath insgesamt vier Spieler vom Gastgeber des Feldes verwiesen hatte.

Der Schiedsrichterausschuss unter Vorsitz von Jörg Wehling, der als Hardliner gilt, wenn es um den Schutz und Respekt für seine Kollegen geht, hat von sofort an den Gesamtverein vom Spielbetrieb ausgeschlossen. Und der Berliner Fußball-Verband (BFV) hat dazu eine Presseerklärung verbreitet, in der auf bekannte Art jeglicher Gewalt auf Berlins Sportplätzen der Kampf angesagt wird. Die vorläufige Suspendierung bedeutet hauptsächlich, dass kein Schiedsrichter mehr für Spiele Al-Dersimspors angesetzt wird. Bis zu einer Verhandlung vor dem Sportgericht. Diese soll es am 11. Oktober geben. Nur den sieben Jugendmannschaften des Klubs wird noch gestattet, in Absprache mit ihrem Gegner, selbst für einen Unparteiischen zu sorgen. So etwas hat es wohl in der umfassenden Form im Berliner Fußball bisher nur selten gegeben. Man will wohl ein eindeutiges Zeichen setzen, eben ein Exempel an Al-Dersimspor statuieren. Im schlimmsten Fall ist sogar ein Ausschluss der 1. Mannschaft des Vereins aus der Liga und eine jahrelange Sperre für den Spieler möglich.

Soweit die Fakten. Wie sieht es nun aber schon im Hinblick auf die anstehende Verhandlung im Oktober mit der Betrachtung von Ursache und Wirkung aus? Oder gibt es gar Hintergründe und traditionelle Ansichten sowie verhaltensmuster, die völlig außerhalb des Fußballplatzes liegen? Das Ganze stellt sich mir als ein Fall dar, der viel mehr Betrachtung von Details erfordert, statt nur von Schuld, Strafe und Exempel zu sprechen.

Hier kam wohl an einem Tag, der mit der 2:0-Führung der Gastgeber und guter Hoffnung begann, ein Bruch ins Spiel, als der Schiedsrichter einen Spieler Al-Dersimspors nach etwa einer Stunde mit Gelb-Rot vom Feld stellte. Jeder, der selbst mal spielte, weiß, dass immer und überall (fast) jede Entscheidung kommentiert und kritisiert werden kann. Die scheinbaren Vorbilder, die wir im TV und ähnlich an jedem Wochenende ansehen dürfen, leben es vor: Es wird beinahe jeder Pfiff angezweifelt, es wird abgewunken und um Karten gebettelt. Das ist fast schon ein Ritual. Tatsache ist auch: Fußball ist kein Volleyball, aber eben auch kein Eishockey. Es bleibt eine „Kampfsportart“, die früher tatsächlich als Wett-KAMPF angekündigt wurde. Es geht immer sehr emotional zu, besonders in der Endphase einer Begegnung. Hier naht die Entscheidung, die Spieler sind erregt, erschöpft, der Hormonpegel ist auf dem Höhepunkt. Klar muss aber immer bleiben: Gewalt ist keine Kritik. Egal, was vorher war.

Es wären eigentlich Heilige gefragt gewesen. Stattdessen bewegten und verhielten sich die Beteiligten zielführend , also wie oft fast nur unter Einfluss des Stammhirns. Die einen (in diesem Fall die Mannschaft aus Frohnau, die 4:2 führte) wollten die „Beute“ sichern, und damit die drei Punkte gewinnen. Die enttäuschten Spieler ihres Gastgebers wollten den Abpfiff. Vorher auch wenigstens noch ein letztes Erfolgserlebniss beim Kampf um den Ball. Genau da kommt der Unparteiische ins Spiel. Er machte nach Aussage vom Sportlichen Leiter der Kreuzberger, Erdal Güncü, fatale Fehler, indem er in einer Schlüsselszene das Klammern eines Frohnauer Spielers in der Nachspielzeit nicht ahndete. Das darauf folgende Ausholen und Befreien des Al-Dersimspor-Spielers sah er aber. Dieses ahndete er mit Rot und der Bruder des Hinausgestellten, der den Schiri unpassend zur Rede stellte, ging gleich mit hinaus. „Alles war völlig unnötig, unsere Spieler haben sich sicher auch nicht richtig verhalten“, meint Güncü. Man hätte aber schon ab der 90. Minute den Abpfiff gefordert, den beim Spielstand von 2:4 der Unparteiische verweigerte. Ali K. hätte sich vorher bereits auswechseln lassen. Er hatte wohl schon Schlimmeres befürchtet. „Dass er aber dem Schiedsrichter im Gebäude aufgelauert haben soll, ist völliger Blödsinn“, sagt Güncü, der Sportlehrer ist. „Meine Vorstandskollegen haben es genau verfolgt.“ Es sei alles sehr schnell gegangen. Ali K. sei gerade vom Duschen gekommen, als nach dem Abpfiff auch die Spieler, Offiziellen und die Unparteischen auftauchten. Als der Beschuldigte hörte, dass in der Nachspielzeit noch drei Spieler hinausgestellt worden seien, habe er versucht, den Schiedsrichter zu attakieren. Sei aber vom Vorsitzenden daran gehindert worden. „Es ist trotzdem unentschuldbar. Der Spieler ist wegen dieses Gesichtsverlustes auch total fertig. Wir haben ihn vereinsintern suspendiert“, berichtet der Sportliche Leiter. Seit seinem 19. Lebensjahr habe Ali K. allen Abwerbeversuchen anderer Vereine widerstanden. Er war wohl drauf und dran vor dem Tempodrom auf den Sockel gehoben zu werden. Und weiter sagt Güncü: „Wir haben alle Auflagen erfüllt. Security – wie im großen Fußball – können wir nicht stellen. So einen Ausraster hätte auch keine größere Ordnergruppe verhindern können. Daher fühlen wir uns ungerecht behandelt. Strafe für die Einzelnen? Ja! Ein Rundumschlag gegen einen Migrantenverein, der unseren gesamten Klub in so ein Licht stellt, das passt nicht“, erklärte er. Es habe ja noch gar keine Verhandlung gegeben, daher verstehe er alles nicht.

Im Übrigen gebe es zahlreiche Unparteiische, die sich auf dem Platz und hinterher trotz der widrigen Kabinensituation und der Enge hier immer wohlgefühlt hätten. Das müsse man auch sehen. „Wir sind keine Kreuzberger Aggressoren aus der Gang. Es gibt Polizisten, Studenten und Angestellte in unseren Reihen. Wir sind speziell und kommen mit Ungerechtigkeiten vielleicht auch schlechter zurecht als andere. Das mag stimmen“, ergänzt Güncü. Man habe mit Kai Brandt zum ersten Mal nun auch einen „biodeutschen“ Trainer, sei um Öffnung bemüht. Nun solle man exemplarisch bestraft werden. Das mache dann alles zunichte. Es kündige sich eine Hexenjagd an.

Entscheidend bei dieser Geschichte ist aber auch etwas anderes, nämlich die Aussage Paffraths: Der Schiedsrichter fühlte sich nicht nur bedroht, sondern sei tatsächlich geschlagen worden, sagte er der Redaktion der „Fußball-Woche“. Das hätte er bei der Polizei angezeigt. So steht erst einmal Aussage gegen Aussage. Ein schwarzer Tag für den Berliner Fußball, dieser vergangene Spieltag der Berlin-Liga. Mögen die Richter die nötige Weisheit ins Spiel bringen. Vor allem müssen anschließend auch Lösungsversuche weiter gesucht werden, um wenigstens einen Ansatz von Wandel bei Spielern, Zuschauern und auch Unparteiischen endlich zu erreichen. Alle sollten sich aufeinander zu bewegen. Bliebe der Vorfall einfach so als Strafsache stehen, wäre alles nur Wasser auf die Mühlen der Kommentatoren, die selten oder nie Zwischentöne zulassen wollen.

Es wäre ebenso erschreckend, wenn nach über 60 Jahren Einwanderungsgeschichte eine Auffassung, die Gewalt gegenüber Autoritäten akzeptiert, nicht abzustreifen wäre. Mit einem Federstrich ist das allerdings nicht möglich, denn der Fußball ist eben Teil der Gesellschaft. Somit spiegeln sich hier bekanntermaßen weiter die Konflikte, die man aus anderen Bereichen kennt. Wichtig scheint mir, dass die Individuen versuchen aus dem Kreislauf von Vorurteilen und traditionellem Verhalten (Ansehen und Ehre) auszubrechen. Oder sollte das in den Zeitkategorien, die wir im Sinn haben, gar nicht möglich sein? Weder für Alteingesessene noch für Migranten in zweiter und dritter Generation? Leider schwer zu fassen, das Ganze.